Raser und Rechtsempfinden - zum Urteil des des Bundesgerichtshofes vom  29.06.2017 (Az.  4 StR 415/16)

Immer wieder kommt es zu illegalen Autorennen, bei denen Unbeteiligte verletzt oder gar getötet werden. Und wenn die Raser von Gerichten einige Monate später nur zu vergleichsweise geringen Strafen verurteilt werden, flammt regelmäßig die Debatte über härtere Strafen auf.

 

So war es auch Anfang vergangenen Jahres, als zwei junge Männer, bei deren sponta-nem Rennen in der Kölner Innenstadt eine 19 Jahre alte Studentin ums Leben kam, wegen fahrlässiger Tötung lediglich zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren sowie einem Jahr und neun Monaten verurteilt wurden. Nun hob der Bundesgerichtshof (BGH) dieses Urteil in Teilen auf und verwies den Fall zur neuen Verhandlung an das Landgericht Köln zurück - auch unter ausdrücklichem Verweis auf das allgemeine Rechtsempfinden.

 

Der Forderung der Staatsanwaltschaft nach höheren Haftstrafen folgte der BGH zwar nicht, wohl aber der Forderung, neu über die Frage zu befinden, ob die Strafen im Fall der beiden jungen Männer zur Bewährung ausgesetzt werden dürfen. Hier attestiert der BGH dem Kölner Landgericht Begründungsmängel. Unberücksichtigt habe es den Umstand gelassen, dass die beiden damals 21 und 22 Jahre alten Männer bei ihrem tödlichen Rennen gleich mehrere erhebliche Verkehrsordnungswidrigkeiten (darunter auch den Verstoß gegen das bislang lediglich in der Straßenverkehrsordnung geregelte Rennverbot) vorsätzlich begangen und die Gefahrenlage durch ihre aggressive Fahrweise bewusst herbeigeführt hatten. Dieser Umstand prägte die Tat und durfte bei der Bewährungsentscheidung nicht außer Acht bleiben.

 

Tatsächlich macht das Verhalten der beiden Kölner Raser auch nach mehr als zwei Jahren fassungslos. Am frühen Abend des 14. April 2015 waren die beiden Männer mit ihren zwei aufgemotzten Fahrzeugen (eines hatte eine Motorleistung von 171, das andere von 233 PS) auf dem Weg zu den Rheinterrassen in Köln-Deutz. Etwa eineinhalb Kilometer vor ihrem Ziel entschlossen sich die beiden spontan zu einem Kräftemessen. "bei dem sie sich gegenseitig ihre überlegene Fahrkunst und die Leistungen ihrer Fahrzeuge demonstrieren wollten", wie der BGH in seinem Urteil feststellt. Die beiden fuhren mit stark überhöhter Geschwindigkeit eng hintereinander her. Bei 95 Kilometern in der Stunde verlor der vorausfahrende Raser in einer langgezogenen Linkskurve die Kontrolle über sein Auto und erfasste die Studentin, die auf einem angrenzenden Radweg unterwegs war.

 

Seine Entscheidung, den Fall zur Neuverhandlung nach Köln zurückzugeben, begründet der BGH nicht nur mit der besonderen Rücksichtslosigkeit der Angeklagten. Nicht ausreichend erörtert hab das Landgericht zudem, wie sich unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung eine Strafaussetzung zur Bewährung auf das allgemeine Rechtsempfinden, und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts auswirken würde. Die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung konnte der BGH dagegen nicht monieren, selbst wenn er es gewollt hätte. Denn die Staatsanwaltschaft hatte den Punkt "fahrlässige Tötung" in ihrer Revision gar nicht angegriffen. Schon deshalb lässt das BGH-Urteil im Kölner Fall keine Rückschlüsse darauf zu, wie die obersten Strafrichter demnächst das noch aufsehenerregendere Berliner Raser-Urteil bewerten.

 

In Berlin waren Ende Februar 2017 erstmals zwei Raser in Deutschland des Mordes für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die beiden waren mit stark überhöhter Geschwindigkeit auf dem Kurfürstendamm unterwegs und überfuhren zudem mehrere rote Ampeln. Bei dem Rennen kam ein Rentner in seinem Auto ums Leben, das einer der beiden Raser gerammt hatte. Das Berliner Urteil ist juristisch allerdings hochumstritten. 

 

Auch der Gesetzgeber befasst sich schon seit einiger Zeit mit dem allgemeinen Rechtsempfinden beim Thema illegale Autorennen. Vergangene Woche beschloss der Bundes-tag nach eingehender Beratung Gesetzesverschärfungen, die noch im September vor der Bundestagswahl den Bundesrat passieren sollen. Bisher gilt die Teilnahme an illegalen Rennen, bei denen niemand zu Schaden kommt, lediglich wie der Verstoß gegen ein Parkverbot als eine Ordnungswidrigkeit. Dies soll zukünftig mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Wird auch noch jemand verletzt, sollen bis zu fünf Jahre Haft möglich sein, kommt eine Person zu Tode, drohen künftig bis zu zehn Jahre Gefängnis.